Achtsamkeitsübungen für den Alltag
Sie können grundsätzlich jede Aktivität des Tages zu einer informellen Achtsamkeitsübung machen.
Am Beispiel des morgendlichen Anziehens möchte ich Ihnen das informelle Üben verdeutlichen:
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Betrachten Sie die Farben, Formen und Texturen Ihrer Kleidung. Was können Sie sehen?
Und wie fühlen sich die Materialien unter den Händen an?
Welche Körperempfindungen entstehen, wenn Sie in die Unterwäsche, die Hose, den Rock, das Kleid, das Hemd oder den Pullover schlüpfen? Fühlt sich die Kleidung auf der Haut kühl oder warm an?
Hören Sie beim Anziehen vielleicht ein Knistern, Rascheln von Stoff oder das Klacken der Gürtelschnalle?
Wie riecht die Kleidung? Können Sie den Duft des Waschmittels wahrnehmen?
Verweilen Sie nach dem Anziehen für zwei, drei Atemzüge in der Stille und nehmen Sie den dastehenden Körper und die Kleidung auf der Haut wahr. Sie sind dazu eingeladen, den Fokus geduldig wieder zu den Körperempfindungen und den Sinneseindrücken zurück zu bringen, sobald Sie ein etwaiges Abschweifen des Geistes bemerken.
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Im Folgenden finden Sie weitere Aktivitäten, die Sie mit Achtsamkeit begleiten können. Natürlich gibt es noch unzählige mehr – die nachfolgende Auswahl soll Ihnen den Einstieg erleichtern und zeigt exemplarisch auf, wie man Achtsamkeit informell trainiert.
- Nehmen Sie nach dem Aufwachen einige Ihrer Atemzüge bewusst wahr. Spüren Sie in den Körper hinein. Wie fühlt er sich an?
Und lassen Sie den Tag mit einigen ebenso bewussten Atemzügen ausklingen. Wie geht es dem Körper jetzt? - Putzen Sie die Zähne mit Bewusstheit. Welche Empfindungen in der Mundhöhle können Sie wahrnehmen? Welche Gerüche und Geschmäcker sind da? Welche Geräusche? Wie fühlt es sich an, die Zähne mit der nicht dominanten Hand zu putzen?
- Kämmen Sie sich achtsam und nehmen Sie dabei Geräusche ebenso wahr wie Empfindungen in der Hand, beim Handgelenk und am Kopf.
- Nehmen Sie Veränderungen der Körperhaltung möglichst bewusst wahr. Wie fühlt sich der Körper während eines Haltungswechsels an? Wie fühlt er sich im Liegen, Sitzen, Stehen oder Gehen an? Gibt es bestimmte Gedanken oder Gefühle, die mit bestimmten Körperhaltungen einhergehen?
- Wie fühlt sich die Luft / der Wind auf der Haut an? Welche mit dem Luftzug einhergehenden Geräusche können Sie ausmachen? Welche Gerüche sind wahrnehmbar?
- Nehmen Sie mehrmals täglich einige Atemzüge in tiefer Bewusstheit. Begleiten Sie die mit der Atmung verbundenen Körperempfindungen mit Ihrer Aufmerksamkeit; vom Moment, in dem die Luft einströmt bis zum Moment, in dem der Atem den Körper verlassen hat.
Auch Momente des Wartens oder Anstehens lassen sich wunderbar für ein Verweilen bei der Atemwahrnehmung nutzen. - Betrachten Sie alltägliche Geräusche als «Glocke der Achtsamkeit». Sie können das Klingeln des Telefons oder Geräusche des Strassenverkehrs als Einladung sehen, sich wieder in die wertungsfreie Bewusstheit einzuklinken.
- Spüren Sie im Laufe des Tages immer mal wieder in die Füsse hinein. Können Sie den Boden unter den Fusssohlen wahrnehmen? Stehen beide Füsse mit gleich viel Druck auf? Wie möchten Sie dastehen / dasitzen? Sitzen oder stehen Sie so, dass es sich für Sie körperlich und innerlich angenehm anfühlt?
- Spüren Sie immer mal wieder in den gesamten Körper hinein. Klinken Sie sich ein, wenden Sie sich zu; erkundigen Sie sich liebevoll beim Körper: «Wie geht es dir?» Wenn Sie die Möglichkeit haben, dem Körper etwas Gutes zu tun, so tun Sie es. Ein Schluck Wasser, ein kurzes Dehnen, ein Spaziergang, ein bewusster Atemzug, ein Schliessen der Augen – nehmen Sie wahr, was der Körper braucht.
- Essen Sie achtsam. Das geht am besten alleine oder, wenn Sie zu zweit oder in einer Gruppe sind, im Schweigen. Halten Sie vor dem ersten Bissen für einen Moment inne. Betrachten Sie die Speisen. Welche Farben und Formen haben die Nahrungsmittel auf Ihrem Teller? Und welche Gerüche nehmen Sie wahr?
Wissen Sie, woher die Speisen stammen und welche Arbeitsschritte nötig waren, bis Sie sie nun auf dem Teller haben? Kauen Sie bewusst und langsam, den Fokus zum Beispiel auf den Geschmacksempfindungen im Mund haltend. Schenken Sie sich nach dem Essen und Trinken noch einige Augenblicke Zeit. Wie fühlt sich der Körper an? Wie geht es Ihnen? - Üben Sie sich darin, bewusst zu bleiben, währenddem Sie kommunizieren (sprechen, schreiben, zuhören, lesen). Verfassen Sie Ihre Mails mit Achtsamkeit. Was möchten Sie sagen / schreiben? Wie fühlen Sie sich dabei? Welche Körperhaltung nehmen Sie ein?
Probieren Sie aus, inwieweit es Ihnen möglich ist, sich in Gesprächen von reaktiven Mustern zu lösen: Können Sie zuhören, ohne sofort innerlich zu werten? Können Sie das Gegenüber bis zum Schluss dessen Satzes anhören und dann in Ruhe antworten? Können Sie sich in einem Gespräch einem anderen Menschen zuwenden und zugleich wahrnehmen, wie es dabei Ihrem Körper geht und welche Gedanken und Gefühle Sie haben? - Stellen Sie auch während des Arbeitens immer wieder Achtsamkeit her. Insbesondere, wenn die Arbeitslast hoch ist, ist es heilsam und effizient, regelmässig innezuhalten, den Fokus in die Gegenwart zu bringen und sich gut im Dasein zu verankern, indem Sie sich für Ihr körperliches und inneres Erleben öffnen. So können Sie auch bei hohem Arbeitsvolumen und -tempo in Kontakt mit sich bleiben (oder kommen) und finden Ansatzpunkte für Selbstfürsorge.
Noch viele andere informelle Achtsamkeitsübungen sind denkbar. Bitte fühlen Sie sich frei im Entscheid, welche Aktivitäten Sie zu welcher Tageszeit mit Achtsamkeit begleiten möchten.
Für den Anfang empfiehlt es sich, ein bis zwei Aktivitäten auszuwählen, um sich nicht zu überfordern. Nach einer Weile können Sie mehr und mehr Aktivitäten dazunehmen. Starten Sie in dem Tempo, das Ihnen guttut. Die Inseln der Achtsamkeit in Ihrem Alltag werden dank kontinuierlichem Üben zu immer grösseren Flächen zusammenwachsen, so dass Sie mit der Zeit in immer mehr Lebensbereichen mehr Festland unter den Füssen spüren.