Glossar Achtsamkeit - Teil 1
Im Folgenden finden Sie kurze und knappe Erklärungen zu diversen Begrifflichkeiten, die im Kontext der Achtsamkeit relevant sind - inklusive einer Definition des Achtsamkeitsbegriffs selbst.
Das Glossar ist alphabetisch geordnet.
Achtsamkeit
Achtsamkeit ist eine bestimmte Art von Bewusstheit; ein bewusstes Wahrnehmen der Erfahrungen des gegenwärtigen Momentes (zum Beispiel der Körperempfindungen, Sinneseindrücke, Gedanken und / oder Gefühle), ohne über diese Erfahrungen zu urteilen.
Achtsamkeitsmeditationen
Achtsamkeitsmeditationen sind Übungen für den Geist, die im Sitzen, Stehen oder Liegen ausgeführt werden. Beim Üben verweilt man im Modus des Seins; es geht darum, eine nicht involvierte, nicht urteilende Beobachterrolle einzunehmen.
Es muss also während der Meditation nichts weiter «getan» werden, als bewusst zu sein mit den Erfahrungen des gegenwärtigen Momentes, beispielsweise mit Körperempfindungen, Sinneseindrücken, Gedanken und / oder Gefühlen.
Beispiele für Achtsamkeitsmeditationen:
- die durch die Atmung hervorgerufenen Körperempfindungen möglichst präzise und zugleich urteilsfrei wahrnehmen, siehe Atemmeditation
- zu Hörendes von Augenblick zu Augenblick ohne Wertung wahrnehmen, siehe Hörmeditation
Affengeist
«Affengeist» ist in der traditionellen buddhistischen Literatur ein Ausdruck, der für den unsteten, unkontrollierbaren Geist steht: Der Geist bewegt sich schnell von einem Gedanken zum nächsten, so wie sich ein Affe von Ast zu Ast schwingt.
Edler Achtfacher Pfad
Der Edle Achtfache Pfad ist ein wichtiger Bestandteil der buddhistischen Lehre und umfasst acht Elemente. Er gilt im Buddhismus als Anleitung zur Befreiung von Leid und Hinführung zur Erlösung. Die acht Elemente sind:
- 1. Rechte Ansicht
- 2. Rechte Absicht
- 3. Rechte Rede
- 4. Rechtes Handeln
- 5. Rechter Lebensunterhalt
- 6. Rechte Anstrengung
- 7. Rechte Achtsamkeit
- 8. Rechte Konzentration
«Recht» bedeutet in diesem Kontext, dass die genannten Bereiche zu einer Beendigung des Leidens führen, also ganzheitlich wirkungsvoll sind. Alle Elemente sind eng miteinander verflochten, und zu jedem Element gibt es in den buddhistischen Traditionen konkrete Hinweise und Verhaltensaufforderungen für die ethisch korrekte, Leid verringernde respektive verhindernde Lebensweise.
Weitere Erläuterungen zum Edlen Achtfachen Pfad finden sich hier: Achtsamkeit und Buddhismus
Einsichtsmeditation
Die Einsichtsmeditation ist eine Meditationsform, deren Praktizieren den Mediterenden / die Mediterende auf tiefgreifende, transformierende Einsichten stossen lassen kann. Es wird im Rahmen dieser Meditationsform kein bestimmtes Meditationsobjekt gewählt. Es geht darum, gegenwärtig zu sein mit allen sich im jeweiligen Moment anbietenden Erfahrungen; um ein ungesteuertes Offensein, das Voraussetzung für Einsicht ist (vergleiche auch Glossar-Eintrag zum offenen Gewahrsein).
Eine derartige Einsicht kann zum Beispiel die Erkenntnis sein, dass alles vergänglich ist – eine Erkenntnis, die weit über das kognitive Verstehen hinausgeht und zu einem allumfassenden, transformierenden Begreifen wird.
formelles Achtsamkeitstraining
Zum formellen Achtsamkeitstraining zählen beispielsweise der Bodyscan, Atemmeditationen oder andere Achtsamkeitsmeditationen zum Beispiel mit Fokus auf Gedanken und / oder Gefühle.
Es handelt sich dabei um Übungen, für die sich der / die Meditierende zeitlich und wenn möglich auch räumlich (reizarme Umgebung) zurückzieht und körperliche und / oder geistige Phänomene möglichst wertungsfrei betrachtet mit der Absicht, sich in Achtsamkeit zu üben.
informelles Achtsamkeitstraining
Zum informellen Achtsamkeitstraining zählt das achtsame Wahrnehmen und Ausführen alltäglicher Aktivitäten; zum Beispiel achtsames Zähneputzen, achtsames Anziehen, achtsames Essen oder achtsames Verhalten in Gesprächen mit anderen.
Der / die Praktizierende zieht sich im Gegensatz zum formellen Achtsamkeitstraining dafür nicht zurück, sondern steht in vollem Kontakt mit der Umgebung und dem Tun im jeweiligen Moment.
MBSR
MBSR steht für «mindfulness based stress reduction».
Es handelt sich dabei um ein achtwöchiges Kursprogramm, das Ende der 1970er Jahre von Jon Kabat-Zinn entwickelt wurde und verschiedene Achtsamkeitsübungen zur Stressreduktion beinhaltet.
MBCT
MBCT steht für «mindfulness based cognitive therapy». Es handelt sich dabei um ein achtwöchiges Kursprogramm, das als achtsamkeitsbasierte Rückfallprophylaxe bei Depressionen intendiert ist.
MBCT wurde auf der Grundlage von MBSR für Menschen entwickelt, die im Laufe ihres Lebens bereits mindestens einmal an Depressionen oder depressiven Verstimmungen litten.
Meditationsobjekt
Während der Meditation kann der Fokus absichtsvoll auf ein sogenanntes Meditationsobjekt gerichtet werden.
Verschiedene Körperstellen, die durch die Atmung hervorgerufenen Körperempfindungen, Sinneseindrücke, der Gedankenstrom oder Gefühlstönungen sind gängige Meditationsobjekte.
Metta-Meditation
Die Metta-Meditation ist eine buddhistische Meditationspraxis, die Achtsamkeit mit Freundlichkeit verbindet. «Metta» ist ein Begriff aus der indischen Sprache Pali und bedeutet übersetzt soviel wie «Freundschaft», «liebende Güte» oder «Freundlichkeit».
Während der Metta-Meditation formuliert der / die Praktizierende gedanklich oder hörbar gesprochen heilsame Wunschsätze an sich und / oder an andere mit der Absicht, Wohlwollen in die Welt zu tragen. Ein solcher Wunschsatz kann beispielsweise lauten: «Mögen sich alle Lebewesen sicher und geborgen fühlen.»
Offenes Gewahrsein
Mit offenem Gewahrsein ist ein vollumfängliches und uninvolviertes, wertungsfreies Dasein mit allen sich im Aussen sowie im Inneren im jeweiligen Augenblick anbietenden Erfahrungen gemeint.
Der Fokus wird dabei nicht auf einem einzelnen Meditationsobjekt gehalten, wohl aber aufrecht erhalten; es gilt also, achtsam in der Gegenwart zu verweilen. Es geht darum, sich in Offenheit zu üben und sich von Augenblick zu Augenblick der verschiedenen gegenwärtigen Erfahrungen (Körperempfindungen, Sinneseindrücke, Gedanken, Gefühle) sowie ihres Kommens und Gehens gewahr zu sein.
Das offene Gewahrsein kann im Rahmen der Einsichtsmeditation praktiziert werden (vergleiche auch Glossar-Eintrag zur Einsichtsmeditation).
Pali
Pali ist eine altindische Sprache, die heutzutage vorwiegend in der Schriftlichkeit und im Rahmen der buddhistischen Literatur angewandt wird.
Peripheres Gewahrsein
Bei formellen und informellen Achtsamkeitsübungen wird das Aufrechterhalten der urteilsfreien Bewusstheit im gegenwärtigen Moment trainiert. Das periphere Gewahrsein unterstützt Praktizierende in diesem Bestreben, indem es gewissermassen als Alarmsystem fungiert: Während der Hauptfokus beispielsweise auf einem Meditationsobjekt oder einer Tätigkeit im gegenwärtigen Moment ruht, kann der / die Praktizierende dank des peripheren Gewahrseins wahrnehmen, welche Prozesse sich in den Randgebieten des Erlebens, also ausserhalb des gezielt gesetzten Hauptfokus, abspielen.
Bahnt sich ein Abschweifen an (zum Beispiel ein gedankliches Narrativ oder das Verschieben des Fokus auf eine andere als die gewählte Körperstelle), so kann dieses bei gut entwickeltem peripherem Gewahrsein frühzeitig erkannt werden, so dass der / die Praktizierende sich (wieder) für Achtsamkeit entscheiden und den Hauptfokus stabil halten oder wieder stabilisieren kann.
Durch regelmässiges Meditieren wird das periphere Gewahrsein gestärkt.
Retreat
Das Wort «Retreat» stammt aus dem Englischen und bedeutet soviel wie «Ruhepause» oder «Rückzug». Im Kontext der Achtsamkeit ist damit zumeist ein eintägiger bis mehrmonatiger (seltener auch: mehrjähriger) Rückzug an einen Retreatort, beispielsweise in ein Meditationszentrum, gemeint. Ein Grossteil der Retreat-Zeit wird meditierend verbracht.
Retreats werden in verschiedenen Gruppengrössen, meist angeleitet durch mindestens eine erfahrene Meditationslehrperson, angeboten. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, einen Retreat für sich alleine zu machen.
Manche Retreats finden für die Teilnehmenden im Schweigen statt, und von der Benutzung des Handys sowie vom Lesen und Schreiben wird abgeraten. Aufgrund der reduzierten Sinnesreize bietet sich dadurch die Gelegenheit für eine Einkehr bei sich selbst und somit für das Vertiefen der Körper- und Geisteswahrnehmung.
Samatha
Samatha ist der Pali-Ausdruck für Sammlungsmeditationen (siehe nachfolgenden Glossar-Eintrag zur Sammlungsmeditation).
Sammlungsmeditation
Während einer Sammlungsmeditation wird der Fokus auf einem Meditationsobjekt gebündelt; zum Beispiel auf einer Körperstelle, auf Eindrücken, die über die Sinne empfangen werden, auf der Gedankenaktivität oder den Gefühlen und Stimmungen des gegenwärtigen Momentes. Es geht dabei darum, in ruhigem, urteilsfreiem Betrachten des Meditationsobjektes zu verweilen und sich nicht ablenken zu lassen.
Sanskrit
Sanskrit ist eine altindische Sprache, die in Südasien eine ähnliche Rolle spielt wie das Latein in Europa. Die Veden, bedeutende Texte des Hinduismus, sind in Sanskrit überliefert.
Theravāda-Buddhismus
Der Theravāda-Buddhismus ist eine der drei grossen traditionellen Strömungen des Buddhismus. Er soll seine Ursprünge bei den ersten Anhängern Buddhas haben, beruft sich auf den Pali-Kanon (Lehrreden des Buddhas in Pali) und ist vor allem in Laos, Sri Lanka, Myanmar, Kambodscha und Thailand vertreten.
überformendes Lernen
Überformendes Lernen meint in diesem Kontext, dass die in einer Achtsamkeitsmeditation aufgebauten und trainierten Fähigkeiten auch im Alltag zur Verfügung stehen.
Beispielsweise kann das in Meditationen trainierte Nicht-Urteilen dank der Fähigkeit zu überformendem Lernen Eingang in das alltägliche Denken, Fühlen, Reden und Handeln eines / einer Achtsamkeitspraktizierenden finden.
Vier Edle Wahrheiten
Die Vier Edlen Wahrheiten bilden das Herz der buddhistischen Lehre. Es geht dabei darum, den Kreislauf des Leidens zu durchbrechen.
1. Edle Wahrheit: über das Leiden
2. Edle Wahrheit: über die Ursache des Leidens
3. Edle Wahrheit: über die Beendigung des Leidens
4. Edle Wahrheit: über den Pfad zur Beendigung des Leidens
Die Vierte Edle Wahrheit mündet in den Edlen Achtfachen Pfad (siehe Glossar-Eintrag zum Edlen Achtfachen Pfad).
Hinweise zu allen Vier Edlen Wahrheiten finden sich hier: Achtsamkeit und Buddhismus
Vipassanā
Vipassanā ist der Pali-Ausdruck für Einsichtsmeditationen (siehe Glossar-Eintrag zur Einsichtsmeditation).
Glossar Achtsamkeit - Teil 2
Angenehmes, Unangenehmes, Heilsames, Unheilsames
Diese vier Begrifflichkeiten möchte ich separat behandeln; unter anderem, um sie in Relation miteinander setzen zu können.
Angenehmes
➡️ Beschreibung:
angenehme / erfreuliche / gefällige Körperempfindungen, Sinneserfahrungen, Gedanken oder Gefühle
✴️ zum Beispiel:
körperliche Entspanntheit, feines Essen, schöne Erinnerungen, freudige Aufgeregtheit, …
✅ Umgang damit:
erkennen, Wirkungen auf Körper und Geist und etwaige Wechselwirkungen beobachten, nicht anhaften
Unangenehmes
➡️ Beschreibung:
unangenehme / schmerzhafte / leidvolle Körperempfindungen, Sinneserfahrungen, Gedanken oder Gefühle
✴️ zum Beispiel:
körperlicher Schmerz, Lärm, Sorgen über die Zukunft, Genervtsein, …
✅ Umgang damit:
erkennen, Wirkungen auf Körper und Geist und etwaige Wechselwirkungen beobachten, keinen Widerstand aufbauen, nicht ignorieren; weich, akzeptierend, innerlich «geschmeidig» bleiben
Heilsames
➡️ Beschreibung:
vor allem Geisteszustände, Absichten oder innere Haltungen, die (auch langfristig gesehen) Leid verhindern oder verringern
✴️ zum Beispiel:
Akzeptanz, Dankbarkeit, Freundlichkeit, Gelassenheit, Genügsamkeit, Hilfsbereitschaft, bedingungslose Liebe, Loslassen, Mitgefühl, Sanftmut, Wertschätzung, Zufriedenheit, …
✅ Umgang damit:
erkennen, Wirkungen auf Körper und Geist und etwaige Wechselwirkungen beobachten, kultivieren (absichtsvoll herbeiführen oder verstärken, zum Beispiel mit der Metta-Meditation)
Unheilsames
➡️ Beschreibung:
vor allem Geisteszustände, Absichten oder innere Haltungen, die (auch langfristig gesehen) Leid entstehen lassen oder verstärken
✴️ zum Beispiel:
Ablehnung, Ärger, Dünkel, Egoismus, Geiz, Gier, Gleichgültigkeit, Grobheit, Hass, Rachegelüste, Schadenfreude, Verlangen, …
✅ Umgang damit:
erkennen, Wirkungen auf Körper und Geist und etwaige Wechselwirkungen beobachten, Energie entziehen (unterlassen, was Unheilsames nährt)