Wo besteht noch Forschungsbedarf rund um das Thema Achtsamkeit?
Unzählige Studien zum Thema Achtsamkeit liegen bereits vor. Und doch sind noch viele Felder unerforscht.
Im Folgenden werden die noch unerforschten oder wenig erforschten Gebiete genannt. Dabei wird Bezug genommen auf die Mettastudie von Creswell (2017):
- Studien der Achtziger-, Neunziger- und Zweitausenderjahre haben fast ausschliesslich Erwachsene während Klinikaufenthalten in den Fokus gerückt. Erst seit knapp zehn Jahren erforscht man die Effekte von Achtsamkeit auch in anderen Setting (Schule, Gefängnis, Militär, Arbeitsplatz, …) und über die ganze Lebensspanne (Kinder, Jugendliche, Erwachsene bis ins hohe Alter) hinweg. Viele Untersuchungen diesbezüglich sind noch nicht von empirischer Relevanz, da die Probandengruppen bisher eher klein gehalten sind.
- Zurzeit liegen keine empirischen Belege dafür vor, dass MBSR-Kurse die Achtsamkeit mehr erhöhen als andere Kursformen, die Achtsamkeit zum Thema machen (z.B. Yoga, progressive Muskelentspannung, …).
- Erschwerend kommt hinzu, dass die selbst empfundene Intensität und Häufigkeit von Achtsamkeit nicht überprüft werden kann; Probanden äussern sich möglicherweise im Rahmen von sozialer Erwünschtheit. Seit 2013 versuchen Wissenschaftler, Frage- und Aufgabenstellungen zu entwickeln, die Achtsamkeit anhand der Art, bestimmte Probleme anzupacken, verlässlicher messen sollen.
- Wenig erforscht ist, wie stark MBSR die Fähigkeit erhöht, Emotionen zu regulieren und grüblerische Gedankenmuster zu reduzieren. Auch ist unklar, welchen Einfluss MBSR auf bestimmte Aspekte der Selbstwahrnehmung, also auf Glaubenssätze und Attribute, die man sich zuschreibt, hat.
- Es gibt noch keine statistisch relevanten Langzeitstudien dazu, für wie lange und mit welcher Regelmässigkeit Personen nach Achtsamkeitsprogrammen eine eigenständige Meditationspraxis aufnehmen.
- Diverse Hirnareale werden durch das Praktizieren von Achtsamkeit messbar aktiviert. Unklar sind dabei die detaillierten Auswirkungen dieser Stimulationen. Offenbar gehen damit Verhaltensänderungen und eine verringerte Ausschüttung von Stresshormonen einher, doch ein einheitliches Bild bezüglich konkreter Koppelung der Aktivität bestimmter Hirnregionen und der Art der Verhaltensänderung lässt sich noch nicht zeichnen.
- Diverse Wissenschaftler:innen äussern die Befürchtung, dass sich Personen, die unter Psychosen (z.B. Schizophrenie) oder Krampfanfällen (z.B. Epilepsie) leiden, dem Risiko einer Verschlimmerung ihrer Symptome aussetzen. Allerdings gibt es noch kaum Forschung dazu, ob, bei welchen Vorerkrankungen und wie stark sich welche Symptome verschlimmern können. Bisherige Studien deuten darauf hin, dass vor allem längere Meditationsintervalle (z.B. Retreats von zwei Wochen bis drei Monate) schädlich sein können, nicht aber kleinere Dosierungen, wie in MBSR-Kursen angeboten.
- Es existieren noch wenige systematische Untersuchungen bezüglich Meditationshäufigkeit / -dauer und Effekten dieser Praxis.
- Einzelne Forschungen deuten darauf hin, dass sich bei Personen, die erst seit Kurzem Achtsamkeit praktizieren, kognitive Prozesse verlangsamen. Man vermutet, dass dies mit der Tatsache zusammenhängt, dass neue Problemlösestrategien in das kognitive System integriert werden müssen, was während der Erstphase zu einem Ausbremsen der kognitiven Fähigkeiten führen kann. Doch auch hier bewegen sich die Forschungen noch in einem Bereich mit zu kleinen Probandengruppen; die statistische Relevant fehlt.
Achtsamkeit bleibt ein spannendes Feld!
Quelle:
Creswell, D. (2017). Mindfulness Interventions. Annual Review of Psychology, 68. 491-516