Meditation: Hindernisse und Nebenwirkungen

Ruedi Irminger-Weber, Dharma- und MBSR-Lehrender, sprach in seinem Referat »Wirkungen und Nebenwirkungen von Meditationen« vom 21.12.2020 am Center for Mindfulness von diversen Hindernissen und unbeabsichtigten Nebenprodukten, die als Phänomene während unserer Meditationspraxis auftauchen können.

Im Folgenden werden nicht nur die Phänomene genannt, sondern es findet auch eine Diskussion über den Umgang mit denselben statt.


Hindernisse während der Meditationspraxis

Unsere formelle Meditationspraxis kann durch verschiedene Empfindungen geprägt sein. 

Irminger unterscheidet dabei fünf Hauptkategorien von Hindernissen, die auftreten können:

  • 1. Verlagen
    Unterkategorien: Begehren, Gier, Erwartungen, Wünsche, Hoffnungen, …
  • 2. Aversion
    Unterkategorien: Ablehnung, Abwehr, Aggression, Unzufriedenheit, Böswilligkeit, Hass, Zorn, Wut, Ärger, Angst, Gereiztheit, Feindseligkeit, Langeweile, Urteilen, Klagen, Jammern, …
  • 3. Trägheit
    Unterkategorien: Schläfrigkeit, Müdigkeit, Faulheit, Dumpfheit, Schwerfälligkeit, Lethargie, Erstarrung, …
  • 4. Rastlosigkeit
    Unterkategorien: Unruhe, Aufgeregtheit, Nervosität, Zappeligkeit, Sprunghaftigkeit, Sorgen, Grübeln, …
  • 5. Zweifel
    Unterkategorien: Ausrichtung der Zweifel à an sich selbst, an seinen Fähigkeiten, an der Meditationspraxis, an den Lehrenden oder den Lerninhalten

 

Umgang mit Hindernissen

Diese Hindernisse gilt es mit Hilfe der Achtsamkeit zu erkennen und anzunehmen; nur so kann ein konstruktiver Umgang mit ihnen gewährleistet werden. Sie zu sehen, ohne ihnen übermässige Bedeutung zukommen zu lassen, ist der Schlüssel zu ihrer Auflösung.

Allerdings kann gerade bei Schläfrigkeit das Erkennen und Annehmen erschwert sein, da unsere Achtsamkeit durch diese Zustände eine Trübung erfährt. Ich empfehle einen simplen Trick, der das Einschlafen wirkungsvoll zu verhindern weiss: Heben Sie während der Meditation (geht auch beim Bodyscan; die Arme liegend anwinkeln) die Arme an. Es ist nicht nötig, die Arme durchzustrecken; ein Anheben mit leicht gebogenen Ellenbogen genügt. Dadurch wird der Kreislauf angeregt, zudem führt die ungewohnte, mit der Zeit anstrengende Haltung dazu, dass der Geist nicht in den Schlaf abdriftet. Wenn Sie spüren, dass die Schläfrigkeit zumindest vorläufig gebannt ist, dürfen Sie die Arme gerne wieder senken.

 

Hauptziele der Meditationspraxis

Um die Nebenwirkungen der Meditationspraxis zu erforschen, gilt es vorab, ihre beabsichtigte Wirkung festzulegen.

Irminger nennt zwei Hauptziele der Meditationspraxis:


1. Entwicklung von stabiler Aufmerksamkeit, von »Samadhi« (~ Konzentration, Sammlung):

Es geht dabei um die Steigerung der Fähigkeit, den Fokus der Aufmerksamkeit absichtsvoll auszurichten und aufrecht zu erhalten.

Beispiel: Meditation mit Fokus auf die Atemwahrnehmung oder mit Fokus auf das Hören

 

2. Entwicklung von Achtsamkeit, von »Sati«:

Hiermit ist die Steigerung der Bewusstseinskraft, die für Aufmerksamkeit und Gewahrsein zur Verfügung steht, gemeint.

Beispiel: Dank der erlernten Konzentration können wir das Aufflackern und Vergehen von Gedanken, Gefühlen, Körperwahrnehmungen und Sinneseindrücken erkennen. Der MBSR-Kurs hilft uns dabei, diese Empfindungen und Eindrücke wahrnehmen zu lernen.

 

Fred von Allmen hält in seinem Buch »Buddhismus« (S. 242) einen schönen Vergleich fest, der Samadhi und Sati und deren Wechselwirkung beschreibt:

»[…] das Bild einer Kerze, die in einem dunklen Raum brennt. Die Helligkeit der Flamme ermöglicht uns, die Dinge, die sich im Raum befinden, zu sehen. Sie entspricht der Achtsamkeit. (Sati) 

Flackert die Flamme, sehen wir nicht sehr deutlich. Brennt sie aber ruhig und stetig, können die Dinge im Raum klarer und eindeutiger wahrgenommen werden. Die Stetigkeit der Flamme steht für die Sammlung (Samadhi).«

 

Achtung: Meditation soll absichtslos geschehen. Warum aber spricht Irminger von »Hauptzielen«? Tatsächlich klingt das Ganze paradox und doch ergibt es Sinn: In der absichtslosen Meditation gelingt es uns beiläufig, Samadhi und Sati zu entwickeln. Um die Hauptziele zu erreichen, brauchen wir sie also nicht anzupeilen (wie wir uns das aus anderen Lebensbereichen gewohnt sind), sondern einfach regelmässig zu meditieren und uns immer wieder die Absichtslosigkeit zu vergegenwärtigen. So wird Raum geschaffen für erkenntnisbasiertes Lernen, und der Muskel der Achtsamkeit wird trainiert.

 

Nebenwirkungen der Meditationspraxis

Irminger nennt diverse »Nebenwirkungen« der Meditationspraxis. Nebenwirkungen will er dabei nicht per se als negativ verstanden sehen; vielmehr sind es unbeabsichtigte Wirkungen, die nebst den Hauptzielen auftreten können.

 

Irminger nennt u.a. folgende Nebenwirkungen:

  • körperliche  und emotionale Freude
  • Energiestau und Entladungen z.B. in Form von Zittern, Schütteln, unwillkürlichen Bewegungen
  • Gefühle von grosser Hitze oder Kälte
  • visuelle Phänomene, z.B. Licht, Farben
  • Empfindungen von Schwere oder Leichtigkeit, Härte oder Weichheit
  • Klänge, Stimmen, Worte
  • Visionen, Bilder, Erinnerungen
  • mögliche begleitende Emotionen wie Trauer, Angst, Einsamkeit, Verzweiflung, Freude, Verzückung, Ekstase

 

Einordnung der Nebenwirkungen

Wichtig beim Erleben solcher Nebenwirkungen ist laut Irminger Folgendes:

  • 1. Wir dürfen uns bewusst sein, dass solche Phänomene auftreten können, ja sogar üblich sind. Es ist also nichts »falsch mit« oder »seltsam in« uns.
  • 2. Die Phänomene könnten als wichtige Errungenschaften angesehen werden. Das sind sie jedoch nicht. Sie sind nichts, was wir errungen oder erkämpft, haben; sie sind einfach da.
  • 3. Der Wunsch nach Reproduktion könnte aufkommen. Spätere Meditationen können überschattet werden von Enttäuschung, wenn sich etwas Angenehmes nicht wiederholt. Wir dürfen uns immer wieder vergegenwärtigen, dass wir absichtslos meditieren und nicht, um erlebte Zustände wiederherzustellen.
  • 4. Stolz und Überheblichkeit oder gar die Überzeugung, erleuchtet zu sein, können mit diesen Phänomenen einhergehen. Eine erleuchtete Person würde sich selbst aber nicht als erleuchtet wahrnehmen, weil sie nach den Erkenntnissen über das gesamte Erlebnisspektrum hinweg die Erfahrung des Nicht-Erlebens und der völligen Leerheit gemacht hat, die dann auch Konzepte wie »Erleuchtung« im vom Laien beschriebenen Sinne ausschliesst. Wir dürfen kritisch bleiben, wenn sich jemand als erleuchtet bezeichnen – und wir dürfen kritisch bleiben, wenn wir selbst zu glauben beginnen, wir seien erleuchtet.

 

Umgang mit Nebenwirkungen

Irminger schlägt folgenden konkreten Umgang mit oben genannten Nebenwirkungen vor:

  • 1. Wir dürfen uns bewusst werden: Alle spirituellen Phänomene sind gewissermassen »Nebenprodukte«. Die Hauptwirkung der Meditationspraxis sind stabile Aufmerksamkeit (Samadhi) und Achtsamkeit (Sati).
  • 2. Wenn wir einem Prozess nicht gewachsen sind, müssen wir ihn stoppen. Das heisst: Bei sehr beklemmenden Phänomenen, die uns überfordern, dürfen wir die Meditation abbrechen und uns allenfalls Hilfe von einem erfahrenen Meditationslehrer (oder von einem Therapeuten; z.B., wenn Traumata aufbrechen) suchen.
  • 3. Wenn wir uns dafür bereit fühlen, dürfen wir uns der Erfahrung während der Meditation mit voller Bewusstheit und mitfühlender, ausgeglichener Aufmerksamkeit öffnen. So zieht die Erfahrung durch uns hindurch, ohne dass wir uns in ihr verlieren und sie unangemessen viel Raum einnehmen lassen.

 

Fazit

Sie sehen; spirituelle Phänomene sind nichts Widernatürliches; wir brauchen uns weder davor zu verschliessen, noch ihnen übermässige Bedeutung zuzumessen. Ein achtsamer, selbstfürsorglicher, wertungsfreier Umgang damit hilft uns, sie loszulassen und bewahrt uns davor, uns in den Erfahrungen zu verrennen.

 

Gleich in die Praxis starten und eigene Erfahrungen sammeln?

Hier geht’s zu einer geführten Sitzmeditation 10‘ mit Fokus auf den Atem: Atemmeditation

Hier geht’s zu einer geführten Sitzmeditation 15‘ mit Fokus auf Geräusche: Hörmeditation

Hier geht’s zu einer geführten Sitzmeditation 20‘ mit Fokus aufs Mitgefühl: Metta-Meditation

Hier geht’s zu einer geführten Sitzmeditation 45' mit Fokus auf Atem, Körper, Geräusche, Gefühle, Gedanken sowie auf das offene Gewahrsein: Sitzmeditation

 

Quellen:

  • Irminger-Weber, R. (2020). Wirkungen und Nebenwirkungen von Meditationen. Referat vom 21.12.2020. Center for Mindfulness: Zürich.
  •  von Allmen, F. (2010). Buddhismus. Lehren – Praxis – Meditation. Theseus-Verlag: Bielefeld. S. 242ff