Sammlungs- versus Einsichtsmeditationen

Welche Meditationsform ist die beste, um die Achtsamkeit zu vertiefen?

Es gibt unzählige Meditationsformen; von vielfältigen Visualisierungs- und Manifestierungsübungen über das Rezitieren von Mantren bis hin zur Kontaktaufnahme mit dem inneren Kind, dem Urvertrauen oder höheren Mächten. All diese Meditationsformen mögen ihre Berechtigung haben – ich möchte mir da kein Urteil anmassen –, aber wenn wir unseren Achtsamkeitsmuskel trainieren wollen, führt kein Weg an Achtsamkeitsmeditationen vorbei. 

Achtsamkeitsmeditationen erfüllen die Kriterien der Achtsamkeit: das bewusste, gegenwärtige und wertungsfreie Sein während des Meditierens. Nach diesen Kriterien zu meditieren ergibt Sinn: Das formelle Achtsamkeitstraining wirkt sich auch auf den Alltag aus und führt dazu, dass wir immer wieder in bewussten und wertungsfreien Kontakt mit den gegenwärtigen Körperempfindungen, Sinneseindrücken und geistigen Erfahrungen treten – also immer wieder achtsam werden.

Es werden zwei Arten von Achtsamkeitsmeditationen unterschieden: die Sammlungsmeditation und die Einsichtsmeditation. Zur Bezeichnung passend zielt Erstere auf Sammlung ab, Letztere auf Einsichten. Beide Meditationsformen wurzeln im Buddhismus. 
 

Nachfolgend finden Sie eine Übersicht über beide Meditationsformen.



Die Sammlungsmeditation

Sammlungsmeditationen heissen «Samatha» auf Pali; dies bedeutet «ruhiges Verweilen».

Art der Übung:
Fokus ruht auf einem Meditationsobjekt; Ziel: sich nicht ablenken lassen; beim urteilsfreien Betrachten des Meditationsobjektes verweilen

Mögliche Wirkungen sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Meditation bei kontinuierlichem Üben: 

  • Aufmerksamkeit wird stabiler und kann müheloser aufrechterhalten werden 
  • Stärkung des peripheren Gewahrseins*
  • mehr Geistesruhe; weniger Gedankenkreisen 
  • Gesammeltsein 


Meditationsformen (nicht abschliessend; verlinkt mit Übungsmöglichkeiten):
 Meditationen mit Fokus auf 


*Was ist das periphere Gewahrsein?
Bei formellen und informellen Achtsamkeitsübungen wird das Aufrechterhalten der urteilsfreien Bewusstheit im gegenwärtigen Moment trainiert. Das periphere Gewahrsein unterstützt Praktizierende in diesem Bestreben, indem es gewissermassen als Alarmsystem fungiert: Während der Hauptfokus beispielsweise auf einem Meditationsobjekt oder einer Tätigkeit im gegenwärtigen Moment ruht, kann der / die Praktizierende dank des peripheren Gewahrseins wahrnehmen, welche Prozesse sich in den Randgebieten des Erlebens, also ausserhalb des gezielt gesetzten Hauptfokus, abspielen. Bahnt sich ein Abschweifen an (zum Beispiel ein gedankliches Narrativ oder das Verschieben des Fokus auf eine andere als die gewählte Körperstelle), so kann dieses bei gut entwickeltem peripherem Gewahrsein frühzeitig erkannt werden, so dass der / die Praktizierende sich (wieder) für Achtsamkeit entscheiden und den Hauptfokus stabil halten oder wieder stabilisieren kann. 

Durch regelmässiges Meditieren wird das periphere Gewahrsein gestärkt. 



Die Einsichtsmeditation

Einsichtsmeditationen heissen «Vipassanā» auf Pali. Der Begriff «Vipassanā» bedeutet «Einsicht», «Klarsicht» oder «unmittelbares Erfassen» und steht für ein Durchschauen von Illusionen und ein Durchbrechen falscher Vorstellungen und Konzepte.

Art der Übung:
 kein gesteuerter Fokus; ein Gegenwärtigsein mit allen sich im jeweiligen Moment anbietenden Erfahrungen

Mögliche Wirkungen sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Meditation bei kontinuierlichem Üben: 

  • bewusstes Agieren statt automatisches Reagieren 
  • Erkennen und Loslösung von unheilsamen Mustern und Konditionierungen 
  • tiefe, lebensverändernde Einsichten, zum Beispiel  

➡️ über die Vergänglichkeit aller Phänomene (der Körperempfindungen, Gedanken, Gefühle, aber auch des Körpers an sich und aller Objekte) 

➡️ über die Natur des Leidens: Alle Phänomene dieser Welt sind vergänglich, daher kann nichts ausserhalb des Seins an sich eine nachhaltige Quelle für Glück sein. 


Meditationsform:
offenes Gewahrsein (erster Teil der Meditation: Stabilisierung der Aufmerksamkeit, zweiter Teil: offenes Gewahrsein)

Mit offenem Gewahrsein ist ein vollumfängliches und uninvolviertes, wertungsfreies Dasein mit allen sich im Aussen sowie im Inneren im jeweiligen Augenblick anbietenden Erfahrungen gemeint. 
Der Fokus wird dabei nicht auf einem einzelnen Meditationsobjekt gehalten, wohl aber aufrecht erhalten; es gilt also, achtsam in der Gegenwart zu verweilen. Es geht darum, sich in Offenheit zu üben und sich von Augenblick zu Augenblick der verschiedenen gegenwärtigen Erfahrungen (Körperempfindungen, Sinneseindrücke, Gedanken, Gefühle) sowie ihres Kommens und Gehens gewahr zu sein.