Stress und seine Auswirkungen

Die aktuelle Situation in der Schweiz

Im Rahmen des Job-Stress-Indexes 2020 wurde eine repräsentative Umfrage mit 2‘846 in der Schweiz wohnhaften Personen zwischen 16 und 65 Jahren durchgeführt. 28.7% der Schweizer Bevölkerung gaben an, sich ziemlich oder sehr erschöpft zu fühlen. Genannt werden Müdigkeit, Mangel an Erholungsmöglichkeiten und emotionales Ausgelaugtsein.

 

In Bezug auf Arbeitsplatzsituationen sieht die Lage folgendermassen aus

  •  29.6% der Schweizer Erwerbstätigen erleben grosse Belastungen am Arbeitsplatz, die sich nicht mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen abfedern lassen.
  • Bei 45.5% ist das Verhältnis zwischen Belastungen und Ressourcen im sensiblen Bereich. 
  • Bei etwa einem Viertel der Befragten ist das Verhältnis zwischen Belastungen und Ressourcen ausgewogen. Diese Personen fühlen sich den Anforderungen am Arbeitsplatz gewachsen.
  • Junge Arbeitnehmende (16 – 24 Jahre) sind häufiger gestresst und erschöpft als ältere. Dies hängt unter anderem mit dem geringeren Handlungsspielraum, mit dem sich jüngere im Gegensatz zu älteren Mitarbeitenden konfrontiert sehen, zusammen.
  • Die krankheitsbedingten Abwesenheiten kosten Arbeitgebende im Jahr 2020 7.6 Milliarden Franken. 2018 waren es 6.54 Milliarden Franken. Noch nie waren die Kosten so hoch wie im Jahr 2020.


Einnahme von Substanzmitteln

Die Stressstudie des Seco von 2010 zeigt bezüglich Einnahme von Substanzmitteln Folgendes:


  • 15% der befragten Erwerbstätigen der Schweizer Bevölkerung nehmen Substanzen ein, um nach der Arbeit schlafen oder abschalten zu können.
  • 37.5% nehmen Schmerzmittel ein, um trotz Schmerzen arbeiten zu können.
  • 12% trinken Alkohol am Arbeitsplatz.
  • Insgesamt haben im Jahr 2010 fast die Hälfte aller Erwerbstätigen irgendwelche Substanzen eingenommen, um ihre Arbeit bewältigen zu können.

 

Was ist Stress?

Hans Selye hat 1936 den Begriff »Stress« aus den Materialwissenschaften der Physik entlehnt und weiterentwickelt. In der Physik wird mit »Stress« der Einfluss der Kräfte, die auf einen Körper einwirken, bezeichnet. Selye definierte Stress als körperlichen Zustand unter äusserer Belastung, welcher durch Anspannung und Widerstand gekennzeichnet ist. 

Erst 1984 wurde dem psychologischen Stress und damit den inneren Stressoren durch die Arbeit von Richard Lazarus eine zentrale Rolle zugewiesen. 

Bis heute gibt es keine einheitliche Definition von Stress. Es existiert eine Vielzahl von Definitionsversuchen, die jeweils an verschiedenen Punkten ansetzen. 

Eine dieser Definitionen folgt weiter unten. 


Stressreaktion als Anpassungsleistung des Körpers

»Die Entwicklung dieses Stressreaktionsprogramms im Laufe der Evolution stellt geradezu einen Geniestreich der Natur dar. Es verlieh den Lebewesen, die mit diesem Programm ausgestattet waren, einen enormen Überlebensvorteil. Im Unterschied zu Lebewesen mit starren Verhaltensprogrammen (Instinkten), die bei unvorhersehbaren Situationen versagten, ermöglichte die Stressreaktion als ein unspezifisches Aktivierungsprogramm eine flexible Bewältigung unterschiedlichster, eben auch neuer Gefahrensituationen.«

(Kaluza, 2012, Seite 21)

Stress ist also durchaus nicht nur negativ zu werten! Gesunde Stressreaktionen erhöhen die Handlungsbereitschaft und -fähigkeit und helfen uns,  herausfordernde Situationen zu bewältigen.

 

Wann macht Stress krank?

Unser evolutionär gewachsenes Stressprogramm ist auf Bedrohungen der Urzeit eingestellt und dafür optimiert. Doch das Verteidigen des Territoriums, das Erbeuten von Nahrung, das Beschützen der Jungen oder Rangkämpfe haben im Alltagsleben von Menschen, die nicht in Kriegs- oder ähnlichen Bedrohungssituationen leben, kaum noch Bedeutung. Moderne Belastungssituationen (z.B. im Beruf) bestehen oft über längere Zeit, erfordern keine körperliche Reaktion, kumulieren sich häufig und erlauben kaum Pausen.

Die bereitgestellte Energie wird nicht verbraucht. Fett und Zucker verstopfen die Blutbahnen und können unter anderem zu Infarkten führen. Chronischer Stress führt aufgrund zu lang anhaltender Aktivierung zu physischer und psychischer Erschöpfung. Und der Organismus kann die Fähigkeit zur Selbstregulation (Anspannung – Entspannung) nach und nach verlieren.

Stressbedingte Krankheiten und Störungen

Im Folgenden sind mögliche Folgen von langanhaltendem Stress aufgelistet:

  • chronisch erhöhte Konzentration von Stresshormonen mit schädlichen Auswirkungen auf den Organismus (z.B. Anstieg des Risikos, an Diabetes zu erkranken),
  • Schwächung des Immunsystems; häufige und schlecht heilende Erkältungen,
  • Anstieg des Risikos für chronische Krankheiten wie Multiple Sklerose, Arthritis, Psoriasis, Tumorerkrankungen,
  • Herzkrankheiten, Infarkte, Übergewicht
  • Verdauungsprobleme, Magengeschwüre
  • Schädigungen der Sinnesorgane (z.B. hoher Augeninnendruck, Tinnitus),
  • Abnahme der sexuellen Lust, Zyklusstörungen, Impotenz
  • Gedächtnisprobleme, Konzentrationsschwierigkeiten,
  • Gedankenkreisen, Grübeln,
  • Schematisches Denken, Schwarz-weiss-Denken, weniger Kreativität, weniger Offenheit,
  • Zunahme schwieriger Emotionen, längerfristig: Zunahme von Angst- und depressiven Störungen,
  • Zunahme von Sucht und Risikoverhalten (z.B. Tabak, Alkohol, Medikamente, …),
  • sozialer Rückzug,
  • Gereiztheit, Unruhe,
  • usw.


Was verursacht Stress?

Viele äussere oder innere Ereignisse haben das Potenzial, Stress zu verursachen, z.B.:

  • körperliche Bedrohung,
  • Verlust des Partners / der Partnerin,
  • Kritik, Misserfolg,
  • Armut,
  • Überbelastung (beruflich und / oder privat),
  • Krankheit,
  • usw.

 Aber: Ob und in welchem Ausmass ein Ereignis als stressauslösend empfunden wird, hängt stark von den jeweils Betroffenen ab.

 

Laut Richard Lazarus bewerten Menschen sämtliche Situationen auf zwei Arten:

  • Primäre Bewertung: Ist das gefährlich / interessant / irrelevant?
  • Sekundäre Bewertung: Verfüge ich über die nötigen Ressourcen, um mit der Situation angemessen umgehen zu können?

Stress wird somit durch die subjektive Einschätzung eines Ereignisses verursacht.

 

»Es sind nicht die Dinge oder Ereignisse an sich, die uns beunruhigen, sondern die Einstellungen und Meinungen, die wir zu den Dingen haben.«

(Epiktet, 5 -138 n. Chr.)


Stressdefinition nach Lazarus

Richard Lazarus definiert Stress folgendermassen:

»Stress ist ein Zustand oder ein Gefühl, das entsteht, wenn eine Person wahrnimmt, dass die Anforderungen die persönlichen und sozialen Ressourcen übersteigen, die das Individuum zu mobilisieren in der Lage ist.«

Kurz gesagt: Stress ist das Gefühl, die Kontrolle über eine Situation verloren zu haben.



Gestresst? Wie weiter? Hier findet sich ein Artikel zum Thema »Umgang mit Stressoren« mit Handhabungen, wie sie im MBSR-Kurs gelehrt und trainiert werden.
Achtsamkeitskurse und Yoga können dabei unterstützen, dem Stress im Alltag mit Achtsamkeit zu begegnen und dadurch zu reduzieren. 


Quellen:

  • CFM Zentrum für Achtsamkeit Schweiz, Modul 4, Referat von Yuka Nakamuara
  • Gesundheitsförderung Schweiz (2020). Faktenblatt 34: Job-Stress-Index 2020.
  • Kennzahlen zum Stress bei Erwerbstätigen in der Schweiz. Bern.
  • Kaluza, Gert (2012). Gelassen und sicher im Stress. Berlin: Springer.
  • ECO, Staatssekretariat für Wirtschaft (2011). Stressstudie 2010: Stress bei Schweizer Erwerbstätigen - Zusammenhänge zwischen Arbeitsbedingungen, Personenmerkmalen, Befinden und Gesundheit.
  • Stress verstehen, Michael Gutmann, gesehen am 13.01.2021
  • Was ist Stress? Wikipedia, gesehen am 13.01.2021