Jon Kabat-Zinn: Der Vater der Achtsamkeit

Am 17. Juli 2020 spuckte Googel nach Eingabe des Suchbegriffs »Jon Kabat-Zinn« rund 7 Millionen Ergebnisse nach 0.7 Sekunden aus.

Biografische Eckpunkte

Jon Kabat-Zinn wurde 1944 in New York geboren. 1971 erhielt er seinen Ph.D. in Molekularbiologie vom MIT. 1979 gründete er die mittlerweile weltberühmte Stress Reduction Clinic, deren Geschäftsführer er bis 1995 war. In dieser Klinik entwickelte er sein MBSR-Kursprogramm (Mindfulness Based Stress Reduction). Die Auswirkungen von MBSR untersuchte er während 35 Jahren mit zahlreichen Forschungen an rund 16'000 Patientinnen und Patienten. Heute arbeiten in den USA mehr als 300 Kliniken nach dem Ansatz von MBSR, und auch auf dem europäischen Kontinent hält das Programm nach und nach Einzug.

Nachzulesen auf Wikipedia. Schön und gut. Aber wie kommt ein gebürtiger New Yorker dazu, buddhistische Meditationstechniken aus dem religiösen Kontext zu lösen und in der Behandlung chronischer Schmerzpatientinnen und -patienten anzuwenden?

Die Entdeckung der Achtsamkeit

Jon Kabat-Zinn erzählt dazu in einem Interview mit PraxisVITA:
»Ich studierte Molekularbiologie – und vorn am Pult stand ein Gerichtsreporter, der 13 Jahre in einem japanischen Zen-Kloster gelebt hatte: Philip Kapleau. Er berichtete vom Meditieren. Und dass er sich danach so wohl gefühlt hatte, wie noch nie in seinem Leben. Zudem seien seine Magengeschwüre, Allergien und die Schlaflosigkeit gänzlich verschwunden. Ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Aber meine Neugier war geweckt: Ich wollte unbedingt meditieren. Damals war ich 21.«

1965. Kaum jemand meditiert im Westen. Fachliteratur zum Thema ist rar gesät. Und Kabat-Zinn beginnt sich für Achtsamkeitsmeditationen zu begeistern: »Man hatte in Asien etwas entdeckt und es seit Jahrtausenden entwickelt. Etwas, das Körper und Geist gut zu tun schien.«
Er fand einen Meditationslehrer und erkannte den universellen Charakter der Achtsamkeit: »Es gibt kein da draussen und kein da drinnen. Kein Ausklinken. Kein Losgelöst-Sein. Vielmehr stehen wir in einer intensiven Beziehung zur Welt – und zwar in jedem Augenblick. Allmählich verstand ich, dass in dieser fernöstlichen Tradition dem Augenblick eine Schlüsselrolle zukommt. Dem Jetzt. Weil wir gern durch die Gegenwart eilen und hoffen, später bessere Momente zu erfahren. Dabei aber verpassen wir unser Leben. Ich lernte: Jetzt ist immer die richtige Zeit – denn es ist die einzige Zeit.«
Als Buddhist bezeichnet werden möchte er nicht; er sei aber ein »glühender Studenten der buddhistischen Meditation«.

Kabat-Zinns Wunsch nach Linderung des menschlichen Leidens

Bereits als junger Mann lag ihm das Wohl der Mitmenschen am Herzen; er nahm an Protesten gegen Atomwaffen und Rassismus teil und wurde dabei unzählige Male verhaftet. In seinen Forschungen beseelte ihn der Wunsch, das Leiden von Schmerzpatientinnen und -patienten zu lindern. An der University of Massachusetts Medical School in Boston behandelte er Menschen mit chronischen Kopf- und Rückenschmerzen. Er entwickelte sein mittlerweile weltberühmtes achtwöchiges MBSR-Programm und:  »Mehr als die Hälfte der Teilnehmer berichtete über einen deutlichen Rückgang der Schmerzen.« 

Der Erfolg von MBSR

Der Programm erfuhr breite Beachtung in medizinischen Kreisen. Kabat-Zinn zeigte sich darüber selbst erstaunt (Kabat-Zinn, »Gesund durch Meditation«, 2013. S. 23ff): Im Jahre 2005 gab es gut 100 Veröffentlichungen zur Achtsamkeit und deren klinischen Anwendungen. Acht Jahre später waren es bereits über tausend. Die Zahl der Bücher zu diesem Thema wächst, und es existiert sogar eine wissenschaftliche Fachzeitschrift mit dem Namen »Mindfulness«. Kabat-Zinn hat das Phänomen Achtsamkeit nicht bewusst initiiert. Die zahlreichen internationalen Studien über die positiven Auswirkungen der Achtsamkeitspraxis und von MBSR haben wohl ihren Beitrag dazu geleistet.

Übrigens: Jon Kabat-Zinn war 2016 Gast beim Schweizern Fernsehen in der Sternstunde Philosophie! Das Video dazu findet sich hier:

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