Der Menschheitskörper

Vielleicht ist die Menschheit seit Anbeginn ein einziges Wesen, das ähnliche Entwicklungsschritte vollzieht wie ein einzelner Mensch.


Von der Altsteinzeit bis heute

In der Altsteinzeit spielten wir mit Stöcken und Steinen. Und wie es kleinen Kindern eigen ist, waren wir wohl bereits damals zu interessanten, ungewöhnlichen Gedanken und schnellem Begreifen fähig. Die Entwicklung begann.


Menschen starben, Menschen wurden geboren. Zellen im Körper des Individuums sterben ab, neue Zellen entstehen. 

Der einzelne Mensch ist eine Zelle im Körper der Menschheit.


Wir wurden sesshaft und nannten plötzlich Tiere und Pflanzen unser Eigen – so, wie ein Kind Spielzeug als das seine zu be-greifen beginnt und von «mein» zu sprechen anfängt.


Lesen, Schreiben, Rechnen: Es gab Menschen, die Bildung erfuhren und andere, denen dieser Zugang verwehrt blieb. Das ist bis heute so. 

Und auch in uns gibt es Anteile, die Bildung erfahren haben und Anteile, die im Schatten des Ungebildeten verblieben sind.


Lernen und wachsen; es folgt(e) die Phase der Expansion im Aussen. Sowohl in der Menschheitsgeschichte, als auch im Leben der einzelnen Person zeigt sich die Phase des Aufbaus; des Kumulierens von Verdiensten, Besitz, Vermögen, Reichweite. Das Streben nach Ruhm und Ansehen. Das Bedürfnis, mehr sich selbst zu werden, indem mehr im Aussen erschaffen und zelebriert wird.


Und genau wie der / die Einzelne widerstreitende Anteile in sich selbst trägt – das Potenzial zu Selbstablehnung, Verkennung und Hass ist verschränkt mit dem Potenzial zu Mitgefühl, Akzeptanz und reifer Liebe – trägt die Menschheit als Ganzes widerstreitende Anteile in sich. Nationen, Gruppierungen, Einzelpersonen, die sich innerhalb des Menschheitskörpers bekämpfen, an Bedingungen geknüpfte Beziehungen aushandeln oder sich mit tiefer Anteilnahme beschenken und als gleichwertig erkennen.


Der nächste Schritt: Expansion nach innen

Jetzt sind wir an einem Punkt in der Evolutionsgeschichte, an dem die Expansion nach innen gefragt ist. Sowohl im Menschheitskörper als Ganzes, als auch im Individuum. 


➡️ Die Expansion nach innen sind das Bedürfnis und das aufrichtige Bestreben nach innerem Wachstum.

Die Absicht, heilsam zu denken, zu sprechen, zu handeln. Die Absicht, ein heilsamer Bestandteil dieser Welt zu sein. Heilsam ist, was zumindest kein zusätzliches Leid schafft, wenn möglich gar bestehendes Leid mindert und Bewusstheit mehrt.

Die Expansion nach innen ist die Erkenntnis, dass Karriere, Geld und Besitz uns innerlich nicht nähren und ihnen somit eine in höchstem Masse untergeordnete Bedeutung zufällt. Es geht um formvollendete Klarheit durch pures Sein und nicht um Verschleierung durch Akkumulation von Besitztümern und Ruhm im Aussen.


Wachstum nach innen ist eine persönliche Verantwortung. Das Wissen und die Wege dazu sind vorhanden und dank der Globalisierung vielen Menschen zugänglich. 

Inneres Wachsen zeichnet sich durch den wiederholten bewussten Entscheid für Bewusstheit aus. Es geht darum, möglichst oft und möglichst lange bewusst und wertungsfrei im gegenwärtigen Moment zu verweilen. 


So, wie Anteile in uns um den Wert der Gegenwärtigkeit wissen, wussten dies immer wieder bedeutsame Personen der Menschheitsgeschichte. Menschen, die sich vom Schein der Oberflächlichkeit abwandten, um die Kapazität zu finden, sich dem Menschsein an sich liebevoll, behutsam und zugleich kraftvoll zuzuwenden und anzunehmen.


Wachstum nach innen als persönliche Verantwortung und globale Angelegenheit

Wachstum nach innen ist eine persönliche Verantwortung – und doch keine individuelle Angelegenheit. Mit bewusstem Denken, Sprechen und Handeln berühren wir die Bewusstheit in anderen. Wir können uns sogar aktiv um Weitergabe bemühen, beispielsweise, indem wir mit anderen über den Wert der Gegenwärtigkeit sprechen.


Wenn uns das Wachsen nach innen nicht gelingt, sind wir verloren. 

Im Einzelnen, weil ohne Bewusstwerdung keine Teilhabe an der inneren Ganzheit möglich ist. 

Als Ganzes, als Menschheit, entweder, weil sich unsere widerstreitenden Anteile gegenseitig vernichten, oder, weil wir diesen Planeten so sehr reizen, dass er sich dazu entscheidet, das Virus «unbewusster Mensch» mit einer Erhöhung seiner Körpertemperatur zu zerstören. 

Und dann sind wir im Einzelnen erst recht verloren.


Sterben wir vor der Blüte der Menschheitsgeschichte, weil wir es nicht wagen, den Blütenkelch zu öffnen?

Sind wir alle der Mensch, der unerfüllt stirbt, weil er das Erkennen seiner Teilhabe an der Ganzheit verpasst hat?